„Jede 8. Frau erkrankt in ihrem Leben an Brustkrebs.“ Das hatte ich mit Sicherheit schonmal irgendwo gelesen, eher flüchtig, weil es mich nichts anging. Ich habe auch von „Krebs-Schicksalen“ in meiner Umgebung gehört, habe mitgefühlt, aber es dann auch zügig weggeschoben, weil es mich nicht direkt betraf, weil ich das drückende Gefühl nicht gut aushalten konnte.
Bis ich vor 2 Jahren (plötzlich) die 8. Frau war.
Mit der Diagnose stand ich mittendrin, im Behandlungstunnel: Untersuchungen, Arztgespräche, zahlreiche Medikamente, Nebenwirkungen, die OP. Ich war Patientin, passiv. Natürlich konnte ich entscheiden zu welchem Arzt ich gehe, ich konnte auch entscheiden, ob ich die Medikamente nehme, mich künstlich in die Wechseljahre versetzen lasse mit 33 Jahren, aber hatte ich wirklich eine Wahl?
„Du siehst gut aus!“ „Brustkrebs ist ja noch der beste Krebs, den man bekommen kann!“ „Du musst positiv denken.“ Sätze, die ich hörte, wenn ich auf andere Menschen traf, meist Menschen, die mir nicht sehr nahestanden. Sicherlich gut gemeinte Sätze, in dem Moment haben sie mich aber alle eiskalt erwischt. Heute noch reagiere ich auf die Frage „Alles gut?“ allergisch. Was ist das für eine Frage? Und was ist, wenn ich darauf „Nein“ antworte?
Warum schreibe ich all das hier? Was hat das mit der Bildungsakademie, mit uns Therapeut:innen zu tun? Ich finde, wir sollten achtsamer miteinander sein. Wenn wir einem Menschen begegnen, sehen wir nichts als seine äußere Hülle. Wir stellen oft eine völlig unüberlegte Frage, „weil man das eben so macht“. Aber wollen wir wirklich die Antwort wissen? Wollen wir wirklich wissen, wie es dem anderen geht? Oder wollen wir nur freundlich sein, den typischen Smalltalk abreißen und weitergehen?
Und wenn uns jemand sagt, dass es ihm nicht gut geht, was tun wir dann? „Es kommen wieder bessere Zeiten.“ „Man muss es nehmen, wie’s kommt.“ „Du musst stark sein.“
Ich versuche sehr bewusst meine „Smalltalk-Fragen“ zu überdenken, genauso wie meine Antworten auf diese. Manchmal sage ich auch „Mir fehlen die Worte. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Damit bin ich authentisch und verletze mein Gegenüber nicht. Und manchmal ist es genau das, was ein/eine Betroffene/r braucht: wertfreie Anteilnahme.
Jede 8. Frau erkrankt in ihrem Leben und 700 Männer erkranken jährlich in Deutschland an Brustkrebs. Brustkrebs geht uns alle etwas an, genauso wie Smalltalk.
Vera Henkel, pädagogische Mitarbeiterin
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